Heute beginnt der Schultag erst um 10 Uhr. Es ist der zweite Montag nach den Pfingstferien und zusammen mit einem Klassenkamerad radle ich in die Südstadt. Mit dem ersten Laster biegen wir zusammen in die Turnerstraße ein und erreichen unser Ziel, den Südstadt-Tafelladen „Tat und Rat“. Wir werden freundlich von Frau Schwarz und Herr Wiskandt begrüßt und direkt mit der ersten Aufgabe vertraut. 30 Minuten später haben wir den Laster vollkommen ausgeräumt und die Ware an den entsprechenden Plätzen eingeräumt. Grundsätzlich wird in Kühlware, Backwaren, frischem Obst & Gemüse sowie Konserven und anderen abgepackten und länger haltbaren Lebensmitteln unterschieden. Anschließend begannen wir mit den anderen Kollegen das Obst und Gemüse zu sortieren. Unter dem Motto „Wir verkaufen nur, was wir auch selber essen würden“ prüften wir mit den Kollegen 2-3 Stunden lang die frischen Lebensmittel auf Schimmel, Druckstellen oder Ähnliches und sortierten die gute Ware dann in die entsprechenden Kisten, bevor sie im Verkauf landeten. Zwischendurch kam ein weiterer Laster mit zusätzlicher Ware, die wie immer bei den großen Märkten bereits aussortiert war und dann von der Tafel abgeholt und gerettet wurde, im Laden geprüft und sortiert werden musste. Parallel wurden bei den abgepackten Lebensmittel die Haltbarkeitsdaten gecheckt und in die Kühlschränke und Lager eingeräumt. Um 12:30 begann dann der kurze Mitarbeiterverkauf, bei dem die Mitarbeiter sich selbst mit Lebensmitteln eindeckten. Kurz vor 13:00 Uhr bezogen dann alle ihre Posten, ob an der Ausgabe von Obst und Gemüse oder den Backwaren, an der Kasse, am Eingang oder im Lager, um für den Nachschub zu sorgen. Dann wurde die Tür geöffnet und die Kunden durften nach dem Vorzeigen ihres Tafelausweises in 10er Gruppen für je 20 Minuten im Schichtwechsel bis 16:00 Uhr einkaufen. Nach 16:00 Uhr kam Foodsharing vorbei, um die Reste einzusammeln, wir putzten kurz und machten uns dann auf den Heimweg.
So oder so ähnlich verliefen all unsere Praktikumstage und im Laufe der ersten Woche bekamen wir ein Gespür für die Arbeit. Die Arbeitstage waren teilweise etwas anstrengend und langwierig, doch wir Praktikanten erfreuten uns am Lob der Kollegen und den glücklichen Gesichtern der Kunden. Vormittags hatten wir zwar keinen Kundenkontakt und man könnte meinen, das sei doch gar kein richtiges soziales Praktikum. Doch schon die Arbeit mit den Kollegen war eindrücklich, man kam ins Gespräch und erfuhr viel Interessantes, einige Kollegen waren aus der Ukraine oder anderen Ländern geflüchtet, andere waren bereits in Rente oder arbeitslos, einer war ein Sträfling, der seinen Sozialdienst ableistete. Aber natürlich gab es auch Kollegen, die nur für den guten Zweck arbeiteten und anderen Menschen wirklich helfen wollten. Auch in teils gebrochenem Deutsch führten wir in den zwei Wochen viele interessante Gespräche, oft auch politisch. Wir versuchten uns an allen Stationen des vermeintlich kleinen Ladens, hatten das schöne Gefühl wirklich helfen zu können und verstanden wie viel Arbeit hier schlussendlich drin steckte. Der besondere Part begann dann mittags beim Verkauf. Ab und an durften wir Obst und Gemüse ausgeben, das hier portioniert und an die Bedürfe entsprechend verteilt wird. Auch wenn die Kunden oft etwas gierig waren und für ihr Geld (5,50€ für einen vollen Korb) das Beste erhalten wollten, waren alle am Ende doch sehr glücklich und dankbar.
Dass jeder von uns Schülern in diesen 2 Wochen mehr über sich und das Leben gelernt hatte, wurde uns am Compassiontag direkt nach dem Praktikum deutlich. In von Lehrern geleiteten Gruppen reflektierten wir für uns und erzählten den anderen unsere besonderen Erfahrungen aus den jeweiligen Praktikumsbetrieben. Neben der Tafel arbeiteten wir Schüler zum Beispiel im Krankenhaus oder bei der Altenpflege, im Flüchtlingsheim, mit behinderten Kindern in Kindergarten oder an der Grundschule und an vielen anderen spannenden Orten, wo Menschen anderen Menschen helfen. Dabei erlebten wir unglückliche Momente wie Tod und quälenden Schmerz, Rassismus, Armut, Geschichten von Flucht oder andere „simplere“ alltägliche Schwierigkeiten, aber auch viel Liebe, Zuneigung und Momente voll von Glück.
Text und Bild: Kenji Kalverkamp, 10D